Aktuelle Fälle

Hier finden Sie eine anonymisierte Darstellung ausgesuchter Diskriminierungsfälle, die der Arbeitsbereich Beratung + Begleitung Betroffener bearbeitet hat.

Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft und der sexuellen Orientierung

In den letzten Monaten haben sich vermehrt Personen mit italienischen Bezügen an die Fachstelle gewandt, die wegen ihrer ethnischen Herkunft, Geschlecht und/oder sexuellen Orientierung diskriminiert wurden und werden. Viele Betroffene erfahren Diskriminierung in der Nachbarschaft. Seit längerem registriert die Fachstelle einen zunehmenden Anstieg von Diskriminierungsfällen durch Nachbar*innen, welche stark beleidigende, queerfeindliche und rassistische Indizien vorweisen. Meistens werden überproportional viele Lärmbeschwerden an die Hausverwaltungen geschickt, obwohl die Lärmbelästigung zumindest umstritten ist. Die Betroffenen bekommen oftmals eine Mahnung oder Abmahnung, noch bevor sie zu den Anschuldigungen befragt und um eine Stellungnahme gebeten werden. Sie sind ständigem Klopfen, Läuten und Beschimpfungen durch die Nachbar*innen ausgesetzt. Dadurch entsteht ein sehr belastendes Wohnumfeld, in dem die Wohnung nicht mehr als Rückzugsort wahrgenommen wird. Oft trauen sich Ratsuchende nicht, die Vorfälle zu melden, weil sie befürchten, dadurch noch stärkeren Schikanen ausgesetzt zu werden.

In dem folgenden Fall spielte sich monatelang oben Genanntes in einer hellhörigen Altbauwohnung in Berlin Neukölln ab. Der Ratsuchende, ein 43 Jahre alter, als italienisch gelesener, homosexueller Cis Mann wurde mit regelmäßigen lauten Knallen in der Nacht belästigt, welche durch ein Lärmprotokoll unter Zeugen dokumentiert worden ist. Unter Zuhilfenahme dieses Protokolls hat sich der Betroffene mehrfach beim Vermieter und der Polizei beschwert.

Der Nachbar, ein älterer weißer, deutscher, hetero Cis Mann erwiderte, mit unbewiesenen Behauptungen, der Ratsuchende würde Müll in seinem Briefkasten und Hundekot vor seiner Tür liegenlassen, welches eine totale Verleumdung darstellt.

Während der Pandemie versuchten der Ratsuchende und eine Beauftragte der Hausverwaltung mit dem Nachbarn zu sprechen, dieser zeigte sich aggressiv und abweisend. Kurz darauf fing er an, den Betroffenen zu belehren. „Dies sei Deutschland, und als Ausländer müsse der Ratsuchende über die vermeintlichen Regeln diszipliniert werden“ und dass er nicht auf Italienisch reden solle. Solch ein paternalistisches Auftreten erleben Menschen of Color sehr häufig.

Eine Person aus Italien als Mitbewohner im selben Haus zu haben, stellt für den Nachbarn offensichtlich ein Problem dar. Das Verhalten des Nachbarn stellt eine Form der Missbilligung des Privatlebens des Ratsuchenden dar. An seinen privatesten Momenten hämmert der Nachbar lautstark an die Wände und unter den Fußboden, auch vor 22 Uhr. Im Flur lauert er ihm auf und beobachtet jeden Schritt. Der Betroffene ist seit Jahren den Schikanen des Nachbarn ausgesetzt. Im Sommer wurde zudem das Hinterrad des Fahrrads des Ratsuchenden mit einem Messerstich demoliert.

Als homosexuelle Person mit einer italienischen Migrationsgeschichte und einem temporär prekären Einkommen ist der Ratsuchende stärker struktureller Benachteiligung ausgesetzt.

Wir ordnen die Vorfälle klar als mehrdimensionale Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der ethnischen Herkunft des Betroffenen ein. Mehrdimensionalität beschreibt das Zusammenwirken von mehreren Diskriminierungen aufgrund von Machtverhältnissen, die zusammenspielen und die Betroffenen auf mehreren Ebenen gleichzeitig benachteiligen.

Machtverhältnisse wie Diskriminierung aufgrund der nicht deutschen Herkunft, Homo-Feindlichkeit und Klassismus verteilen Macht strukturell ungleich und schließen bestimmte Menschen(gruppen) aus. Nach unserem Gewaltverständnis beinhaltet Gewalt nicht nur körperliche Verletzung. Vielmehr gilt es auch psychische, verbale, sexualisierte, ökonomische Gewalt und ihre Folgen zu beachten.

In unserem Beschwerdebrief machten wir die Hausverwaltung auf die Missstände aufmerksam und baten zum einen um Isolierschichten für den Boden des Ratsuchenden und um eine wirksame Maßnahme gegen die Belästigungen des Nachbarn. Als Antwort erhielten wir eine ernüchternde Stellungnahme, indem der Konflikt als eine Fehde zwischen den beiden Mietparteien, das auf dem Rücken der Hausverwaltung ausgetragen werde, abgetan wurde. Es handle sich um eine privatrechtliche Angelegenheit.

An diesem Beispiel möchten wir die Schutzlücke des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) u.a. für LSBTIQ* Menschen in Nachbarschaftskonflikten deutlich machen. Mangels rechtlicher Sanktionen ziehen sich Hausverwaltungen und Wohnungsgesellschaften häufig aus der Mitverantwortung und leiten keine eigenen Schritte zur effektiven Beseitigung von Diskriminierungen ein, wie beispielsweise durch eine Abmahnung, Überarbeitung von Hausordnungen, Definition gemeinsamer Standards oder eine Veröffentlichung entsprechender Leitlinien.

Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft und dem sozialen Status

In diesem Fall ging die Kündigung von Wohnraum nur an Sinti*zze und Rom*nja Familien. Die Fachstelle wurde Mitte November 2020 vom Integrationsbüro des Bezirksamtes Mitte über eine Kündigung der Mietverhältnisse von vier Sinti*zze und Rom*nja-Familien in einem Mietshaus in Moabit informiert. Es handelt sich um sozial benachteiligte große Familien in schwierigen und beengten Wohnverhältnissen. Die Mietverträge sind den Betroffenen befristet ausgestellt worden.

Der Hinweis, dass nur Sinti*zze und Rom*nja-Familien gekündigt wurde, wurde von der Fachstelle als ein eindeutiges Indiz einer rassistischen Diskriminierung bewertet. Da jedoch die Beendigung der Mietverhältnisse mit dem Auslaufen der befristeten Mietverträge begründet wurde, haben wir dem Integrationsbüro Mitte empfohlen, den Berliner Mieterverein, einen Kooperationspartner der Fachstelle zu konsultieren und eine gemeinsame Mieterversammlung zu organisieren. Diese hat am 08. Dezember 2020 auf Einladung des Integrationsbüros Mitte im Zille Club unter strikter Einhaltung der pandemiebedingten Vorsichtsmaßnahmen stattgefunden. Beteiligt waren drei betroffene Haushalte, das Integrationsbüro des Bezirksamtes Mitte, der Berliner Mieterverein, Lebenswelt gGmbH und unsere Fachstelle. Durch die Anwesenheit einer Familienhelferin konnte die Kommunikation in der Herkunftssprache der Familien gewährleistet werden. Die Sozialarbeiterin der ssb GmbH hatte im Vorfeld die Familien unterstützt und für den Informationsfluss an das Integrationsbüro gesorgt.

Zu Beginn der Mieterversammlung berichteten zwei Haushalte, dass ihre Mietverträge erneut befristet verlängert wurden. Somit blieb ein Haushalt akut von der Beendigung des Mietverhältnisses betroffen. Nach intensiver Erörterung der Sach- und Rechtslage kam der Vertreter des Berliner Mietervereins zu der Einschätzung, dass aus mietrechtlicher Sicht die Befristung der Mietverträge nicht wirksam sind und die betroffenen Haushalte im Falle einer juristischen Auseinandersetzung sehr gute Chancen zur Entfristung der Mietverträge hätten. Den Haushalten wurde auch erklärt, dass die Räumung der Wohnungen ohne einen rechtskräftigen Räumungstitel unmittelbar durch den Eigentümer nicht möglich ist.

Zum Schluss der Mieterversammlung hat der Berliner Mieterverein zugesagt, die Haushalte zu begleiten und ggf. zu vertreten, wenn sie dies wünschen. Es soll angestrebt werden, dass sie Mitglied im Mieterverein werden. Die Kostenübernahme für die Mitgliedschaft ist im Land Berlin durch das Jobcenter möglich. Die Fachstelle wird die Entwicklungen aus der Sicht der Antidiskriminierungsberatung begleiten und ggf. den Schriftwechsel flankierend unterstützen.

Dieser Fall zeigt eindrucksvoll, dass auch einer strukturellen Diskriminierung erfolgreich begegnet werden kann, wenn sich die öffentliche Hand, Initiativen, Vereine und Projekte vernetzen und die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schafft. Dabei ist auch unerlässlich, dass die Betroffenen ihre Lage realisieren, initiativ werden und sich gegen die Diskriminierung wehren.

Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft und Geschlecht, Sexismus

Eine Frau wird nicht in den Mietvertag aufgenommen wegen ihres „nicht deutschen“ Passes. Im September 2020 besichtigte eine als italienisch gelesene Ratsuchende zusammen mit Ihrem Partner eine zur Vermietung stehende Wohnung in Charlottenburg.

Das Paar entschied sich, sich auf die Wohnung zu bewerben und schickte alle angeforderten Unterlagen per E-Mail an den Makler, der es an den Vermieter weiterleitete. Die Unterlagen der Ratsuchenden wiesen ein Gehalt in Höhe des fünffachen der Miete der Wohnung und eine ideale Kreditwürdigkeit auf, während das Gehalt ihres Partners nicht ausgereicht hätte, um die Wohnung allein zu mieten. Die Betroffene lebt zudem seit drei Jahren ununterbrochen in Berlin und arbeitet festangestellt als Senior Managerin in einem großen internationalen Unternehmen.

Eine Woche später bekamen sie die Bestätigung, dass alle Unterlagen in Ordnung sind und einen Termin mit einem Vertreter der Hausverwaltung. Am Ende des Treffens kommt es zu einer überraschenden Kehrtwende aufgrund eines vermeintlich „technischen“ Problems, dass sich aus der Tatsache ergebe, dass die Hausverwaltung gemäß ihren internen Regelungen, Verträge nur mit Mieter*innen schließen könne, die einen deutschen Pass besäßen und deshalb der Partner der Betroffenen allein als Hauptmieter angegeben werden müsste. Die Ratsuchende kritisierte die nicht gleichberechtigte Aufnahme in den Mietvertag. Sie brachte zum Ausdruck, dass sie EU-Staatsbürgerin sei und sie es unverhältnismäßig und unfair fände, dass nach der Prüfung ihrer Zeugnisse, zwar ihre Kredit- und Zahlungswürdigkeit akzeptiert und Mietzahlung sowie Kaution verlangt wurden, sie aber nicht in den Mietvertrag aufgenommen werden würde. Der Vertreter der Hausverwaltung bekräftigte, dass es eine zwingende Voraussetzung sei, „Deutsch“ zu sein, um in den Mietvertrag aufgenommen zu werden.

Wieder eine Woche später erhielt das Paar den Mietvertrag per E-Mail, der unverändert nur auf den Namen des Partners ausgestellt wurde. In derselben Mitteilung wurde das Paar zu einem Treffen eingeladen, um die Schlüssel zu erhalten und die Kaution sowie die Miete zu hinterlegen.
Die Ratsuchende bat um eine Erklärung per E-Mail und um die Aufnahme in den Vertrag, da sie die Hauptbeitragszahlerin für die Miete ist, welche nicht berücksichtigt wurde. Anschließend wurde die Wohnung erneut inseriert.

Die Fachstelle hat in dem Fall in Abstimmung mit der Betroffenen dem Vermietenden eine Diskriminierungsbeschwerde geschickt und die Ratsuchende hat ihren Anspruch nach AGG § 21 fristgerecht geltend gemacht, so dass die Voraussetzungen einer gerichtlichen Auseinandersetzung gegeben sind.

Auch an diesem Fall wird deutlich, mit welchen Herausforderungen Frauen, mit unterschiedlichem sozioökonomischem Status, auf dem Berliner Wohnungsmarkt zu kämpfen haben und inwieweit Diskriminierungsmerkmale, wie die ethnische Herkunft und das Geschlecht intersektional miteinander verwoben sind.